Herzensaktivistin
von Rainer Juriatti
Als wir uns kennenlernten, arbeitete sie als Kinderkrankenschwester. Sie ging auf in ihrem Beruf. Sie liebte Kinder über alles, man konnte es deutlich sehen. Und dann irgendwann war sie "erfolglos" schwanger. Doch ich habe sie nie verzweifelt gesehen. Nur leer.
Nie hat sie ihre verstorbenen Kinder vor sich hergetragen. Nur im Herzen. Nie bedauerte sie sich selbst. Nur andere. Menschen, denen es erging wie ihr. Vera Juriatti ist eine besondere Frau. Mit jener Liebe, die sie als junge Kinderkrankenschwester Babys und Kleinkindern fremder Menschen zukommen ließ, mit jener besagten Liebe wandte sie sich nach ihrer eigenen, fünffachen Erfahrung dem Thema „Sternenkinder“ zu. Als eine Patientin auf einer gynäkologischen Station alleine gelassen wurde und nicht wusste, wie sie es schaffen sollte, ihr totes Kind zur Welt zu bringen, blieb sie bei ihr. Später meinte sie, es sei ein ganz besonderer Moment in ihrem Leben geblieben.
In solch zurückgezogener, stiller Art ging sie durch die Jahre. Sie beschäftigte sich damit und war da, wenn sie gebraucht wurde. Doch über Sternenkinder hatte man zu schweigen. Über Sternenkinder wollte niemand etwas hören, nie wurde ein Gespräch von Tiefe getragen. Sie ertrug es. Zwang allerdings den Verfasser dieser Zeilen hier, über Sternenkinder zu schreiben. Zwanzig Jahre hindurch blieb sie beharrlich. Sie ist Zeichen ihres Charakters, diese Beharrlichkeit. 2017 erschien ein Buch. Und damit trat auch sie erstmals ins Licht der Öffentlichkeit: TV-Teams zeigten Interesse an ihr. Auch Radiostationen, viele Printmedien. Dennoch wirkt Vera Juriatti bis heute weiterhin im Stillen: Wenn sie fotografiert. Sternenkinder ins Licht rückt. In Krankenhäusern, in stillen Zimmern, in verzweifelten Augenblicken anderer Menschen. 24 Stunden steht sie bereit. Jeden Tag des Jahres.
Inzwischen darf man Vera Juriatti als Sternenkindaktivistin bezeichnen: Sie scheut keine Konflikte mit Kliniken, die sich nicht um Sternenkindmütter scheren. Sie gibt nichts auf Hilfseinrichtungen, die ihr Betreuungsrecht anhand der Jahre ableiten, in denen sie selbst verantwortlich dafür sind, dass nichts geschehen ist für Sternenkindbetroffene. Vera Juriatti ist aufrichtig. Vera Juriatti ist unbestechlich. Stets betont sie, dass Sternenkinder keine Stimme haben, man müsse für sie sprechen. Die Jahre des Schweigens und Bettelns seien vorbei.
Das verstehen natürlich nicht alle Menschen. Immer wieder wird ihr vorgeworfen, sie suche ein Zuviel an Öffentlichkeit. Doch dem widerspricht sie. Sie meint, es gebe vielmehr ein Zuviel an Partydenken. Dafür ein Zuwenig an ehrlicher Herzlichkeit. Ein Zuviel an Schönwettersehnsucht. Dafür ein Zuwenig an Mitgefühl. Ein Zuviel an Fassaden- und Institutionsdenken. Dafür ein Zuwenig an Engagement und Demut.
Vera Juriatti ist eine Herzensaktivistin. Eine Unerbittliche. Eine Laute. Eine, die in wenigen Jahren geschafft hat, woran große Institutionen dreißig Jahre gescheitert sind: Man spricht über Sternenkinder. Und jüngst sprach Vera Juriatti selbst einen Satz aus, der manchen Menschen wie eine Drohung klingen mag: „Stillstand macht uns stumm und klein.“
Hier geht's zur Drehscheibe der Hilfe für Sternenkindeltern und -angehörige:
Mein-Sternenkind.net
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