Krippenkind Julian
von Rainer Juriatti
Morgen werden die Augen strahlen. Morgen feiern die Teelichter und Christbaumkerzen Hochsaison. Und wo Licht ist, wissen wir, da ist auch Schatten. Hier somit meine Weihnachtsgeschichte für 2021.
Morgen wollen Millionen Menschen für einen kurzen Moment ausatmen und sich bei familienbedingten Traditionen wie Würstel, Italienischem Salat, Fisch oder Fleisch oder auch beidem ausgiebig freuen. Morgen strahlen Weihnachtsbäume und Kindergesichter. Und morgen auch, da begehen all die Eltern (und mit ihnen die Großeltern), deren verstorbenes Kind wir in diesem Jahr fotografierten, ihre ersten Weihnachtsabende ohne ihr Baby. Es werden schmerzvolle, traurige Abende, in den die Sehnsucht größer sein wird als die Freude.
Morgen auch entzünden wir erneut ein virtuelles Gedenkkerzchen auf unserer Facebookseite: Am 24. Dezember nämlich, vor exakt einem Jahr, da starb Julian zur Welt und seine Mama hat ein Sternchen in den virtuellen Himmel gesetzt. Julian, begreife ich, steht für ein ganz besonderes Krippenkind. Er erinnert an den Schmerz, er erinnert an das Unsagbare, er erinnert an die vielen Fragen, die uns prägen. Julian erinnert uns daran, dass wir jedes Geschenk unter dem Christbaum besonders bescheiden und demütig genießen sollen, er erinnert uns in den Momenten der lichtvollen Nacht an die Schatten, die jedes Leben wirft.
An all dies, allein an all diese Gefühle muss ich heute denken, an einem Tag, an dem ich – durchaus zufällig – das wunderbare Manuskript „Dein kurzes Leben wie ein Sommerregen“ von Andrea Wecke, das wir im nächsten Jahr in unserem kleinen Verlag herausbringen dürfen, zum letzten Mal Korrektur lese. Die südlich von München lebende Lyrikerin arbeitet hauptberuflich in einem Kinderhospiz. So ist ihr Schreiben auch davon geprägt. Andrea Wecke schenkt uns in ihrem Buch viele Momente der Stille, vielleicht auch zur Weihnacht. Ich möchte hier die titelgebende Miniatur zitieren:
Mein Kind,
tragen und halten will ich dich,
so lange, bis der Wind
dich fortweht.
Dein kurzes Leben
wie ein Sommerregen.
Bald werden
meine Tränen
dein kleines Grab berühren.
Somit wünsche ich besonders jenen Sternenkindeltern nichts sehnlicher, als dass sie an jenem ersten Weihnachtsabend ohne ihr Baby besinnliche Momente mit Menschen um sich erleben, die verstehen, dass Leid und Not manchmal mehr Raum einnehmen dürfen als kulinarische Genüsse.
Weil ich ihr Gedicht zitiert habe, hier der Link: Dein kurzes Leben wie ein Sommerregen.