8. Juni 2018 - 2 Kommentare

Dem Sterbetag eine Markierung schenken

Dem Sterbetag eine Markierung schenken
Rainer Juriatti

Wir fahren nach Mürzzuschlag. Dort soll ein Gedenkstein eingeweiht werden. Gestern noch erreichte uns die Einladungswiederholung. Da war die Fahrt längst geplant. Weil wir so etwas noch nie erleben durften. Bei uns gab es keine Gedenksteine. Bei uns gab es kein Grab, „kein-gar-nichts“, wie es heißt. Dann: Ein Moment der Rührung, ganz unerwartet.

Im Grunde, das gebe ich zu, verläuft ja alles irgendwie immer ganz gewöhnlich. Zusammentreffen in der Aufbahrungshalle, erwartungsvolle Gesichter, auch traurige, dann hinsetzen, dann zuhören, wie gesungen wird. Ich habe keine Ahnung, was den Sängerinnen und Sängern im Detail über die Lippen kam. Nur überrascht war ich, wie gut sie singen. Richtig gut. Sie nennen sich „Mosaik“, kommen aus Krieglach und werden von Manfred Pock geleitet. Gut machen sie das.

Dann sprechen zwei sympathische junge Frauen zu uns. Wiederum habe ich keine Ahnung, wer sie sind. Sie reden jedoch ständig von einem „wir“: Wir wollten diese Gedenkstätte … wir sprachen mit … wir freuen uns … wir danken. Scheinbar waren alle Gemeinden um Mürzzuschlag in das Projekt involviert. Dann sprechen weitere zwei Damen zu uns. Sie standen derart abseits, dass ich sie nicht einmal fotografiert habe. Erst später wird mir klar, dass sie zu den anderen Zwei gehören: Vier junge Frauen also. Vier Engagierte. Toll. Sie haben die SHG Sternenkinder gegründet. Das somit ist das Wir. 10 bis 15 Menschen kommen zu ihren Abenden, unfassbar. Sie haben viele Monate, gesamt mehr als ein Jahr, für die Gedenkstätte gelebt und gearbeitet. Mit der Kaiserhof Glasmanufaktur Neuberg haben sie einen kreativen Partner gefunden.

Wir wechseln hinaus zur Gedenkstätte. Inmitten des durch graue Granitsteine geprägten Friedhofes ragt eine Art bilderbuchfarbene Stele in die Höhe. Daneben eine Wolke aus Glas, ebenso farbenfroh, fröhlich fast. So etwas Ungewöhnliches habe ich noch nie gesehen. Die Besucher wurden aufgefordert, ihre zuvor bestellten Glassterne mitzunehmen und dort abzulegen. Wir, die Unbedarften, bekommen Kerzen. Als Vera den Namen unseres Sohnes darauf notiert, dazu sein Sterbedatum, das zugleich seinen Geburtstag markiert, bin ich gerührt: Noch nie habe ich seinen Namen auf einer Kerze gelesen. Noch nie hat sein Sterbetag eine Markierung wie diese erfahren. Ich flüstere meiner Frau meine Befindlichkeit ins Ohr. Das wiederum verstärkt sie. Nicht reden. Ich spüre, was das alles hier für jeden hier bedeutet. Und schon wieder setzen die richtigen Worte aus. Immer noch. Nach so vielen Jahren.

Als Fan der vier Damen verlassen wir die Feier. Natürlich haben wir für unseren Sohn einen Stern bestellt. Jetzt gibt es ihn bald in Mürzzuschlag. Wer hätte das gedacht..

Hier geht's zu den Workshops sowie Lese- und Aufführungsterminen aus "Die Abwesenheit des Glücks".

Veröffentlicht von: Rainer Juriatti in der Kategorie des Notwendigen, Text

Kommentare

Katharina Skacel
9. Juni 2018 um 07:47

Danke für deine netten Worte und diese schöne Geschichte, ich bin sehr gerührt, schade dass ich gestern nicht mehr Zeit für euch gehabt habe. Lg aus Mürzzuschlag von der Hebamme 🙂 Katharina

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Rainer
12. Juni 2018 um 18:56

Vielen DANK! für deinen netten Kommentar. Dass du keine Zeit hattest: kein Problem, du warst ja extrem eingespannt, wir hätten das gar nicht erwartet. Glg, Rainer

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